Ihr Standort: movisco // Blog »
kontakt mail icon
kontakt phone icon

Stresstests – eine Zeitreise vom Tiefbahnhof bis zum Klima

Wort des Jahres 2011

Stresstest? Führt dieser Begriff bei Ihnen zu sich aufstellenden Nackenhaaren? Keine Sorge – mit diesem Blogbeitrag sorgen wir dafür, dass sich Ihre Haare wieder legen. Schon fast in Vergessenheit geraten, ist das Wort des Jahres 2011: „Stresstest“. Laut Duden handelt es sich hierbei um „Tests, bei denen Reaktionen auf Stress gemessen werden“.

Warum gerade 2011? Da gab es im „Ländle“ einen ziemlich erbitterten Streit zwischen Gegnern und Befürwortern des Projekts „Stuttgart 21“ und dem damit verbundenen Bau des neuen Tiefbahnhofs. Fast zeitgleich ereignete sich in einem Atomkraftwerk im japanischen Fukushima ein „Super-GAU“. Daraufhin ist in Deutschland der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen worden. Beide Ereignisse führten jedoch auch zu Stresstests: einen für die Leistungsfähigkeit des neuen Tiefbahnhofs und sogar einen EU-weiten (plus Schweiz & Ukraine), sechs-jährlichen für sämtliche AKW in den teilnehmenden Ländern.

Gleichzeitig wurden aber auch Stresstests im Bankensektor von wachsender Bedeutung: Nachdem erstmalig in den Jahren 2009 und 2010 EU-weite Stresstests mit äußerst überschaubarem Umfang von wenigen und kleinen Tabellen vom damaligen „Committee of European Banking Supervisors (CEBS)“ durchgeführt wurden, hat die ebenfalls im Jahre 2011 gegründete „Eurpoean Banking Authority (EBA)“ von nun an das Zepter des Handelns übernommen. Auch den Stresstest im Jahre 2011 (sowie alle im zwei-jährlichen Rhythmus folgenden) leitete die EBA nun federführend und erhöhte sogleich auch den Umfang und die Komplexität der von den Kreditinstituten zu meldenden Daten. Dazu später mehr...

Atomkraftwerke

Unmittelbar nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima, traten der damalige EU-Energiekommissar Günther Oettinger, die Energieminister und Vertreter der kerntechnischen Aufsichtsbehörden der EU-Mitgliedstaaten sowie Vertreter der Industrie zusammen, um über geeignete Maßnahmen für Atomkraftwerke zu beraten. Dies mündete in einem Beschluss des Europäischen Rates, in den Jahren 2011 und 2012 einen Stresstest durchzuführen, der auch alle sechs Jahre zu wiederholen ist. Dieser Stresstest umfasst folgende Komponenten:

  • Externe Ereignisse (Erdbeben, Überflutung und extreme Wetterbedingungen)
  • Ausfälle von Sicherheitsfunktionen (sukzessiver Ausfall aller Stromversorgungen, Ausfall Wärmeabfuhr)
  • Maßnahmen und Vorgehen bei schweren Unfällen (bei Ausfall der Kernkühlung, bei Kernschmelze, etc.)

Stuttgart 21 & Deutsche Bahn

Außerhalb Baden-Württembergs hatte wohl kaum jemand Notiz vom jahrelangen, bis in die heutige Zeit andauernden, Streit zwischen Befürwortern und Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21 genommen: Mit den vom (u.a.) „Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21“ initiierten „Montagsdemos“, erlangte dieses Milliardenprojekt bundesweite Aufmerksamkeit. Trauriger Höhepunkt war der „schwarze Donnerstag (30.09.2010)“, bei dem weitestgehend friedliche Demonstranten Opfer von Polizeigewalt wurden. Anlässlich dieser Eskalation fanden Schlichtungsgespräche unter der Leitung von Dr. Heiner Geissler statt. Teil des Schlichtungsplans: Stresstest für den neuen Tiefbahnhof: "Die Deutsche Bahn AG verpflichtet sich, einen Stresstest für den geplanten Bahnknoten Stuttgart 21 anhand einer Simulation durchzuführen. Sie muss dabei den Nachweis führen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist." Letztendlich hat die Deutsche Bahn den Stresstest, der von einem unabhängigen Schweizer Ingenieursbüro durchgeführt worden ist, bestanden. Noch heute werfen Kritiker der Bahn vor, unrealistische und unplausible Annahmen getroffen zu haben.

Banken: EBA Stresstests & Klimastresstest

Die sogenannten Stresstests wurden im Jahr 2009 als Reaktion auf die letzte Finanzkrise eingeführt. Die Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) beauftragt die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) damit, ein Rahmenwerk für die alle zwei Jahre durchzuführenden EU-weiten Stresstests im Bankensektor vorzubereiten, wovon der nächste für das Jahr 2023 angesetzt ist. 

Stresstests bedeuten eine Simulation von Zeiten der finanziellen Unsicherheit bzw. Instabilität. Die Widerstandsfähigkeit der Finanzmarktteilnehmer wird getestet, indem spezifische, in regelmäßig aktualisierten Richtlinien beschriebene Szenarien zum Einsatz kommen. Ein Beispiel für ein relevantes Szenario stellt dabei ein substanzieller Kreditausfall dar. Die Reaktion der Institute auf die jeweiligen Szenarien (bspw. Ausgleich des Verlusts durch hochliquide Aktiva) wird gemessen und ein Ergebnisbericht wird erstellt.

Durch die Ergebnisse der Stresstests sollen Sicherheitslücken im Finanzsystem frühzeitig identifiziert und beseitigt werden, um einer erneuten länderübergreifenden Wirtschaftskrise präventiv entgegenzuwirken.

Begonnen haben die 2009 noch von der Vorgängerorganisation CEBS durchgeführten Stresstests mit überschaubarem Umfang. Um der Komplexität der Geschäftsmodelle und der Finanzprodukte im Bankensektor Rechnung zu tragen, sind die Anforderungen an den Stresstest hinsichtlich Ausmaß und Methodik peu à peu erweitert worden: Mittlerweise beschäftigen sich ganze Abteilungen damit, um die mehr als 1,2 Mio Datenpunkte zu befüllen. Sagenhaft. Wahrhaftiger Stress.

Da Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaerhitzung mittlerweile von enormer Bedeutung und Wichtigkeit sind, kündigte die EZB im Oktober 2021 an, ein neues, zusätzliches Format des Stresstests durchzuführen: „ECB Climate Risk Stresstest“.

Dieser besteht aus drei Modulen:

  1. Ein allumfassender Fragebogen
  2. Analyse der Exposition von Kreditinstituten zu Industriesektoren mir hoher Kohlenstoffintensität
  3. „Bottom-up Stresstest“ für Transitionsrisiken und physische Risiken

Modul 1) befasst sich dem Management von Risiken aus Folgen der Klimaerhitzung. In Modul 2) sind sowohl Exposures und Erträge bestimmter „NACE“- Sektoren, die seitens der Aufsichtsbehörden als besonders „schmutzig“ identifiziert worden sind als auch die „Top 15“ Kontrahenten zu melden. In Modul 3) sind Simulationen verschiedenster Natur gefordert: Wie bspw. sich extreme Wetterereignisse oder ein signifikanter Anstieg des „CO2-Preises“ auf die Profitabilität auswirken.

Große Herausforderungen stellen für sämtliche Banken in Modul 2) vor allem das Reporting von „Holding Companies“ dar: Hier sind die Top3-Beteiligungen zu ermitteln und zu berichten, sofern diese in einem der relevanten Sektoren klassifiziert sind. Das kann ich aus erster Hand berichten, da ich federführend bei Kundenprojekten der movisco AG mitgewirkt habe.

Die europäischen Aufsichtsbehörden halten sich offen, diese Übung auch in Zukunft regelmäßig durchzuführen.

Fazit

Zusammenfassend kann man also sagen, dass bei Stresstests viel Arbeit anfällt, diese aber dem guten Zweck dienen und Risiken minimieren.

Tipp:

Noch eine Bitte an Sie als Lesende: Lassen Sie sich nicht stressen! Unter Druck entstehen zwar Diamanten, aber niemals entsteht unter Stress ein effektives Resultat.


Weitere Beiträge

  • Wer wird der Jeff Bezos der Nachhaltigkeit? weiterlesen
  • Sustainable Finance – Nachhaltige Finanzwirtschaft bedarf einer neuen Regulatorik weiterlesen
  • ESG & Nachhaltigkeit – Erleichterungen der Kapitalunterlegung bei nachhaltiger Kreditvergabe? weiterlesen
  • ESG & Nachhaltigkeit - Wie Banken helfen, die Klimaziele zu erreichen weiterlesen

Ihre Ansprechpartnerin

Susanne Jung

info@movisco.com
elektronische Visitenkarte

Fon +49 40 767 53 777

Schnellkontakt-Formular

Die abgesendeten Daten werden nur zum Zweck der Bearbeitung Ihres Anliegens verarbeitet. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Datenschutz bestätigt?

Sie haben Fragen?

Wir freuen uns über Ihre direkte Kontaktaufnahme!

  • Telefon: +49 40 767 53 777
  • E-Mail